Dass Rossini oft und gern bei sich selbst abgekupfert hat, ist kein Geheimnis. Hört man einige seiner Werke, begegnet man bestimmten Motiven wieder und wieder. Schon seine frühesten Kompositionen dienten ihm im späteren Verlauf seiner Karriere wieder als Inspiration.
Da er als Komponist oft unter Termindruck stand, eine Oper im letzten Moment fertigzustellen (manchmal war eine Ouvertüre erst am Tag der Uraufführung vollendet), ist das durchaus auch nachvollziehbar.
Ist das schlimm? Im Zeitalter von CDs, Videos und MP3s würden Musikliebhaber es ihm heutzutage vielleicht weniger verzeihen und sich über mangelnde Kreativität beklagen. Der Schönheit seiner Werke tut das jedoch keinerlei Abbruch.
Das folgende kurze Rondo findet sich, bis auf den Text und die Stimmlage, fast unverändert in drei verschiedenen Opern:
Tenor: Il Barbiere di Siviglia - Ah, il più lieto
Juan Diego Flórez als Almaviva:
Sopran: Le nozze di Teti e di Peleo - Aria di Cerere
Olga Peretyatko in einer Live-Aufnahme:
Mezzo oder Contralto: La Cenerentola - Non più mesta
Hier die wunderbare Agnes Baltsa mit der finalen Arie der Cenerentola (oder, wie wir sie nennen: Aschenputtel):
Falls jemand jetzt noch keinen Ohrwurm hat, so sei demjenigen noch das folgende Werk empfohlen... ;-)
[Bonus] Frederic Chopin - Varations on "Non più mesta"
Nachdem wir Mustafa und dessen Gattin Elvira kennengelernt haben, begegnen wir nun dem Mann, für den die Italienerin Isabella nach Algerien reist: Lindoro. Leider bleibt dieser im Verlauf der Oper eine eher blasse Figur: man erkennt nur wenige Charakterzüge an ihm und er bleibt überwiegend passiv. Es fällt dem einzigen Tenor in diesem Werk also alles andere als eine Heldenrolle zu. Dementsprechend "desolat" ist auch der Zustand, in welchem er uns begegnet: als Sklave Mustafas fristet er sein Dasein in dessen Palast (je nach Inszenierung durchaus in Ketten gelegt oder auch mal inmitten wilder Tiere als Stallbursche).
Dennoch ist seine Cavatina "Languir per una bella" ein ergreifend romantisches Stück, in dem er seine Liebe zu Isabella besingt:
Languir per una bella Nach einer Schönen zu schmachten
e star lontan da quella, und ihr fern zu sein
è il più crudel tormento ist die grausamste Folter,
che provar possa un cor. die ein Herz erdulden kann.
Forse verrà il momento; Vielleicht kommt der Augenblick,
ma non lo spero ancor. doch noch habe ich keine Hoffnung.
Contenta quest’alma Bei solchen Qualen
in mezzo alle pene findet diese Seele sol trova la calma Ruhe und Frieden nur
pensando al suo bene, im Gedanken an die Liebste,
che sempre costante die in fester Treue
si serba in amor. ihre Liebe bewahrt.
Lindoro: Juan Diego Flórez
Turin, 2001
Duett: Se inclinassi a prender moglie
Zu allem Überfluss erwartet den gefangenen Italiener nun
gleich die nächste Katastrophe: Mustafa will ihn mit seiner Gattin
Elvira vermählen, um diese loszuwerden. Zwar versucht Lindoro zunächst, sich herauszureden, doch Mustafa beeindruckt dies nur wenig. Man müsse ja nicht nur aus Liebe heiraten und überhaupt sei Elvira eine gute Partie.
Mit weiteren Fragen und Forderungen an den Bey hat Lindoro nun ebenso wenig Erfolg:
"Sie soll rechtschaffen und gutherzig sein" - "Das ist sie ganz und gar."
"Ich wünsche mir... zwei schöne Augen." - "Es sind zwei Sterne."
"Das Haar..." - "Schwarz."
"Wangen..." - "Schön."
usw...
Dem armen Lindoro gehen also die Argumente aus und er muss sich Mustafa schließlich verzweifelt geschlagen geben. Hier diskutieren Ugo Benelli (Lindoro) und Sesto Bruscantini - "Se inclinassi a prender moglie":
Chor und Cavatina: Quanta roba! ... Cruda sorte!
Doch Rettung naht bereits. Ein Italienisches Schiff ist an einem Felsen vor der algerischen Küste aufgelaufen und deren Besatzung den Korsaren in die Hände gefallen. Diese freuen sich über ihre Beute ("Quanta roba! Quanti schiavi!" - "Jede Menge Beute! Jede Menge Sklaven!").
Die Frauen seien auch nicht schlecht - jedoch gebe es da EINE Schönheit ohnegleichen. Als Haly und die restlichen Korsaren Isabella erblicken, bestätigen sie einstimmig: "È un boccon per Mustafa!" -"Das ist ein Leckerbissen für Mustafa!"
Die Schöne steigt an Land und besingt ihr Schicksal in einer Cavatina, welche ihren Charakter ausgezeichnet unterstreicht: Sie ist charmant, klug und selbstständig. Statt sich in der Männerwelt herumschubsen zu lassen, zieht sie geschickt die Fäden und lässt alle nach ihrer Pfeife tanzen. Das macht sie, vielleicht neben Mathilde di Shabran, zu einer von Rossinis interessantesten weiblichen Charakteren.
Ihre Arie erfasst drei Stimmungen: zunächst ist Isabella empört, dass sie in Gefangenschaft geraten ist. Einen solch respektlosen Umgang ist die starke Frau nicht gewohnt. Dann erinnert sie sich an ihren geliebten Lindoro, für den sie all dies auf sich nimmt, und erhofft sich Trost. Schließlich findet sie zu ihrer Stärke zurück und besinnt sich auf die Waffen einer Frau: "Ich weiß, wie man Männer zähmt...."
Es wird Zeit, hier eine meiner Lieblingsopern vorzustellen. Die Italienerin in Algier entstand innerhalb von nur vier Wochen. Gerade als Gioachino Rossini im April 1813 nach der Premiere von "Tancredi" nach Venedig zurückkehrte, bat ihn der Impresario Cesaro Gallo, ihm bis Ende Mai eine Oper zu komponieren. Rossini übernahm die Aufgabe und lieferte ein Werk ab, welches das Publikum in seinen Bann zog und bei seiner Premiere nicht enden wollende Beifallsstürme auslöste.
Szenenbild von Francesco Bagnara für eine Aufführung
von L'Italiana in Algeri - Venedig (1826)
Die Italiana ist die erste von mehreren Opern Rossinis, in der eine tiefere Frauenstimme (Koloratur-Alt) einen bedeutenden Part übernimmt - in diesem Fall die Hauptfigur, die Italienerin Isabella.
Das Libretto stammt von Angelo Anelli und zeigt die im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert in Europa wachsende Faszination mit dem Orient und Nordafrika. Gleichzeitig parodiert Rossini mit dem Werk andere populäre Rettungsopern, wie beispielsweise Mozarts Entführung aus dem Serail. "Parodiert" deshalb, weil die Titelheldin entgegen dem vorherrschenden Frauenbild eine selbstbewusste und kluge Frau ist, die ihren hilflosen Geliebten aus dem Palast des Beys von Algier befreien muss (und nicht etwa andersherum). Dies schafft sie ohne große Mühe und belehrt nebenbei den stolzen Herrscher, dass eine Frau alles erreichen kann, was sie will. So heißt es im Schlusschor:
La bella Italiana,
Venuta in Algeri,
Insegna agli amanti,
Gelosi ed alteri,
Che a tutti, se vuole,
La Donna la fa.
(Die schöne Italienerin,
die nach Algier kam,
lehrt die Liebenden,
eifersüchtige und hochtrabende,
dass sie alle nach Belieben
die Frau zum Narren hält.)
Doch dazu kommen wir erst später ;) Beginnen wir am Anfang: mit der
Ouvertüre
Diese komponierte Rossini in der gleichen Form wie die meisten Ouvertüren seiner Opern. Man könnte sie als eine Art verkürzte Sonatenhauptsatzformbezeichnen. Das Werk beginnt mit einer theatralisch langsamen Einleitung und steigert sich dann zu einem aufregenden Allegro mit zwei kontrastierenden Themen. Das erste Motiv ist schnell und "konfus" - es spiegelt gewissermaßen die Verwirrung und das Durcheinander wider, welche durch Mustafas Eskapaden und Isabellas Eintreffen an seinem Hof verursacht werden. Das zweite, lieblichere Thema könnte unter anderem Lindoros Dilemma, Elviras Liebeskummer oder auch die Liebes-Wirrungen im Allgemeinen verkörpern, bevor es sich in einem Crescendo zu einem Motiv steigert, welches uns später noch einmal in der Oper begegnen wird (in Taddeos Arie "Ho gran peso sulla testa").
Nach einer Wiederholung beider Themen folgt in einem gewaltigen Crescendo das furiose Finale der Ouvertüre und hinterlässt den Hörer voller Spannung und Vorfreude auf das weitere Geschehen.
Hier Sir Neville Marriner mit der Academy of St.Martin in the Fields:
Einleitung: Serenate il mesto ciglio
Wir befinden uns im Palast von Mustafa. Dieser ist der Bey von Algier - also der Statthalter des Sultans in der nordafrikanischen Provinz.
Umgeben von einem Eunuchen-Chor begegnet uns zunächst Elvira, Gattin des Beys. Die Unglückliche beklagt ihr Schicksal: sie muss erkennen, dass ihr Mann sie nicht mehr liebt. Während ihre Sklavin und Vertraute Zulma ihr Mut zuspricht, haben die Eunuchen weniger ermunternde Worte für sie:
Qua le femmine son nate
Solamente per soffrir / per servir.
(Hier sind die Frauen
nur zum Leiden / zum Dienen geboren.)
Schließlich betritt Mustafa selbst die Bühne und verkündet lauthals, dass weibliche Arroganz, Anmaßung und Prunksucht in seinem Palast keinen Platz haben. Als Elvira sich ein Herz fasst und ihn konfrontieren will, weist er sie grob zurück: "Du gehst mir auf die Nerven. [...] Ich weiß nicht, was ich mit dir noch anfangen soll."
Elvira, Zulma und Haly (der Kapitän der algerischen Korsaren) zeigen sich bestürzt und ratlos angesichts dieser Grobheit und schimpfen über den Tyrannen. Mustafa jedoch bleibt ungerührt bei seinem Standpunkt (ein wenig kann man ihn ja verstehen, seine Angetraute ist doch außerordentlich schrill)...
Elvira - Norma Palacios-Rossi (Sopran)
Zulma - Gigliola Caputi (Mezzosopran) Haly - Alfredo Mariotti (Bariton) Mustafa - Sesto Bruscantini (Bass) Staatskapelle Dresden und der Chor der Staatsoper Dresden, 1978